
Die Grundrechts-NGO epicenter.works hat die 182 Seiten des schwarz-blauen Regierungsprogramms aus netzpolitischer Perspektive analysiert. Neben einer Neuauflage des Überwachungspakets finden sich noch viele weitere besorgniserregende Pläne in dem Papier, aber auch einige positive Vorhaben.
Die wichtigsten Punkte:
- Überwachungspaket 2.0: Ein neues Überwachungspaket kommt auf Österreich zu. Zum wiederholten Mal will eine Regierungskoalition den Bundestrojaner und eine Nachfolgeregelung für die Vorratsdatenspeicherung. Neu sind unter anderem die Pläne für automatisierte Gesichtsfelderkennung und verstärkte Big-Data-Analysen im Zuge von Ermittlungen.
- Staat als ungebremster Datensammler: Generell finden sich im schwarz-blauen Programm zahlreiche Ideen für verstärkte Vernetzung personenbezogener Daten. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger in allen Lebenssituationen.
- Netzpolitik für die Industrie statt für die Menschen: Im Papier finden sich vor allem die Positionen der Industrie wieder. Besonders kritisch ist die neuerliche Forderung nach Netzsperren, die Internet-Unternehmen nach eigenem Gutdünken vornehmen können. Dies ist die Grundlage für Zensurmaßnahmen. Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger soll eine weitere Industrieforderung erfüllt werden, die in Spanien und Deutschland schon Schiffbruch erlitten hat.
- Unterwanderung von EU-Regelungen: Bei näherer Betrachtung finden sich im Koalitionspapier einige Punkte, mit denen die neue Regierung versucht, starke EU-Regelungen zu unterwandern oder zumindest abzuschwächen. Das betrifft sowohl die EU-Datenschutzgrundverordnung (Ausnahmeregelungen für Presseverleger bei der E-Privacy-Verordnung) als auch die Netzneutralitätsregelungen („Opt-In-Regelung“ zum „Schutz von Kindern vor Pornographie und Gewalt“).
- Wenige positive Aspekte: Es gibt auch einige Punkte, die positiv auffallen. Im Vergleich zu früheren Regierungen legt Schwarz-Blau größeren Fokus auf Digitalisierung und manche Details sind durchaus begrüßenswert. Ein großer Wurf ist das Papier in diesem Bereich aber nicht.
- Kein Transparenzgesetz: Besonders bedenklich ist, dass sich diese Regierung nicht einmal vorgenommen hat, das Amtsgeheimnis endlich abzuschaffen.
Überwachungspaket 2.0
Vom generellen Willen zur Ausgabenkürzung der künftigen Regierung sind nur zwei Bereiche ausgenommen: Bildung und Sicherheit. Den Sicherheitskräften sollen neue Technologien zur Verfügung gestellt werden. Dafür soll massiv in Überwachungstechnologien wie Gesichtserkennung, Drohnen und Big-Data-Analysen investiert werden. Der erste Schritt wären Feldversuche für automatisierte Gesichts- und Gefahrenerkennung wie derzeit am Berliner Südkreuz auch in Österreich, obwohl dieses Projekt bisher vor allem für negative Schlagzeilen sorgt.
Der Diktion der letzten Regierung folgend ist unter der Formulierung, dass „die Lücken bei der Überwachung internetbasierter Telekommunikation geschlossen werden“ sollen, wohl eine Neuauflage des Bundestrojaners zu verstehen. Für eine solche Überwachung von Messengerdiensten (etwa WhatsApp oder Signal) müssen die Sicherheitsbehörden in die Smartphones oder Computer der Zielperson eindringen; dafür ist es notwendig, offene Sicherheitslücken in den Geräten auszunutzen. Gleichzeitig betont das Papier aber mehrmals die Notwendigkeit der „Schließung digitaler Sicherheitslücken“ in informationstechnischen Systemen. Auch heißt es: „Entscheidend für eine gelungene und erfolgreiche Digitalisierung [ist u.a.] eine entsprechende digitale Sicherheit in allen Bereichen.“ Dieser offensichtliche Widerspruch wäre nur aufzulösen, wenn vom Vorhaben der Einführung eines Bundestrojaners endlich Abstand genommen würde.
Positiv zu sehen ist zumindest die vorgesehene zeitliche Befristung eines etwaigen neuen Überwachungspakets, eine umfängliche Information des Parlaments über die getroffenen Maßnahmen und eine Evaluierung ihrer Effekte, wie sie epicenter.works schon lange fordert. Das Handbuch zur Evaluation der Anti-Terror-Gesetze (HEAT) bietet die Vorgabe für eine derartige Überwachungsgesamtrechnung.
Der Rechtsschutz, der bislang durch den Rechtsschutzbeauftragen und seine Stellvertretung erfolgt ist, soll nun nach dem Vorbild der Volksanswaltschaft neu strukturiert werden. Das ist eine Verbesserung im Vergleich zur jetzigen Angliederung der Rechtsschutzbeauftragten an die jeweiligen Ministerien, erhöht aber die Gefahr der politischen Einflussnahme.
Positiv zu bewerten ist auch ein absolutes Verwertungsverbot von Informationen aus rechtswidrigen Ermittlungen.
Telekommunikationsanbieter sollen ihren Kundinnen und Kunden künftig auch beim Einsatz von CG-NAT
eindeutige Informationsmerkmale zuordnen müssen. (Im Regierungsprogramm
ist im Zusammenhang mit CG-NAT technisch unsinnig gar von der
„Zuordnung einer eindeutigen IP-Adresse“ die Rede.) Diese Maßnahme ist
vor allem vor dem Hintergrund des geplanten Quick-Freeze-Modells
kritisch zu sehen. Dabei handelt es sich um eine Vorratsdatenspeicherung
„light“, bei der die Daten auf einfache Anordnung der
Staatsanwaltschaft vom Provider gespeichert und später mit richterlicher
Genehmigung beauskunftet werden sollen. Der letzte Gesetzesvorschlag zu
Quick Freeze im Sommer 2017 hätte eine derart großflächige Speicherung
ohne jeden räumlichen, zeitlichen oder kausalen Zusammenhang mit einem
Verdacht zugelassen, sodass praktisch wieder eine vollwertige
Vorratsdatenspeicherung das Ergebnis gewesen wäre. Die Formulierungen im
neuen Regierungsprogramm sind unkonkret gehalten, es ist aber
Derartiges abermals zu befürchten.
Auch der
„Gefährder“-Begriff wurde wieder aus der Schublade geholt. Damit sind
Personen gemeint, die weder verurteilt sind, noch unter einem konkreten
Verdacht stehen, aber künftig in ihrer Bewegungsfreiheit und
elektronischen Kommunikation eingeschränkt werden sollen. Es ist unklar,
wie Gefährderinnen und Gefährder überhaupt definiert werden können, wie
man dazu wird, und was man tun kann, um nicht mehr als „gefährlich“ zu
gelten. Dass schon „im Vorfeld“ gegen Personen eingeschritten werden
soll, die – aus welchen Gründen auch immer – in diese Kategorie fallen,
steht im Widerspruch zur verfassungsrechtlich gewährleisteten
Unschuldsvermutung.
Da alle drei Geheimdienste von Innen- und
Verteidigungsministerium jetzt in der Hand der FPÖ sind, soll eine neue
Berichtspflicht der Dienste zu Kanzler und Vizekanzler eingeführt
werden. Die Staatsschutzbehörden sollen nach internationalen Vorbildern
weiterentwickelt werden. Leider gibt es keine nachahmenswerten Vorbilder
für Geheimdienste, die mit der demokratischen Grundordnung tatsächlich
vereinbar sind. Positiv ist die Schaffung eines neuen Straftatbestands „nachrichtendienstlicher Aktivitäten zum Nachteil von Privatpersonen“. Derzeit sind ausländische Nachrichtendienste hierzulande nur verboten, wenn sie zum Nachteil der Republik handeln.
Was NSA, FSB, GCHQ, BND und heimische Nachrichtendienste hierzulande
machen, wird also bald wenigstens theoretisch strafbar sein.
Gläserne Schüler*innen, Patient*innen, Bürger*innen und Geflüchtete
Ein großes Vorbild für die Verhandlerinnen und Verhandler dürfte das estnische E-Government-System gewesen sein. Gleich an mehreren Stellen findet sich die Thematik der Vernetzung staatlicher Datenbestände, wie zum Beispiel der präventive „Datenaustausch zwischen Gesundheitswesen, Finanz und Pensionsversicherung“, um mutmaßlichen Missbrauch im Sozialsystem zu bekämpfen. Der Verweis auf das estnische X-Road-System zeigt, wohin die Reise gehen soll: zu einer kompletten Zentralisierung aller Datenbestände von Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden. Eine derartige Datenanhäufung ist ein äußerst attraktives Angriffsziel für andere Staaten und Kriminelle.
Auch Kinder und Jugendliche werden bei der Anhäufung von Datenbergen nicht ausgenommen. Vorgesehen ist eine digitale „durchgehende Bildungs- und Leistungsdokumentation für jede Schülerin und jeden Schüler“ vom Kindergarten bis zum Ende der Schulausbildung. Damit würde jede kindliche Verhaltensauffälligkeit ebenso wie jede Abweichung von Leistungszielen dokumentiert. Unter dem Begriff „Austrian Digital Academy“ kommen auch Erwachsene durch ihr Bürgerkonto mit einem solchen System in Kontakt. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben sicherlich großes Interesse an derartigen lebenslangen Leistungsdaten potentieller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch hier besteht also hoher Anreiz für Missbrauch und Kriminalität.
Die Schaffung eines „integrierten, einheitlichen, staatlich gesicherten analogen und digitalen Identitätssystems“
ist komplementär dazu zu sehen. Diese Weiterentwicklung der
Handysignatur/Bürgerkarte soll im ersten Schritt noch optional sein und
zur Abwicklung von Behördenwegen dienen. In Estland und Spanien mussten
aufgrund einer kritischen Sicherheitslücke erst kürzlich über 60 Millionen ID-Cards für ungültig erklärt werden.
Die angestrebte Umsetzung scheint auf dem E-Government-Gesetz vom
Sommer 2017 zu basieren, das bereits die Rechtsgrundlage für eine
elektronische Identität geschaffen hat und zu dem epicenter.works eine kritische Stellungnahme abgegeben hat.
Schutzsuchende müssen bei der Einreise nach Österreich den Behörden
künftig Zugriff auf ihr Mobiltelefon und ihre Social-Media-Accounts
gewähren. Dadurch soll der Fluchtweg, das Alter und die Identität der
Betroffenen überprüft werden. Dieser Eingriff in das Grundrecht auf
Datenschutz wäre wohl bei keiner anderen Personengruppe denkbar und ist
nach Einschätzung von epicenter.works wahrscheinlich grundrechtswidrig.
Auch eine eigene institutionenübergreifende bundesweite Datenbank „über
Zuwanderer und Flüchtlinge“ soll geschaffen werden. Darin sollen unter
anderem Daten über den Aufenthaltsstatus, Sozialleistungen,
„Integrationsfortschritte“, sowie die „Erfüllung der individuellen
Integrationspflichten“ enthalten sein. Darüber hinaus soll der
Datenaustausch zwischen Behörden im Fremden- und Sozialwesen verstärkt
werden.
Im Gesundheitskapitel finden sich Pläne zum Ausbau der
elektronischen Gesundheitsakte ELGA, die Übertragung der E-Card auf
wesentlich unsicherere Mobiltelefone und der verstärkte Einsatz
künstlicher Intelligenz zur Optimierung von Verwaltung und
Krankenversicherungen mittels Auswertung der Daten von Patientinnen und
Patienten.
Telekomindustrie stellt Digitalministerin
Neue Digitalministerin auf dem Ticket der ÖVP wird die ehemalige A1-Chefin Margarete Schramböck. Deshalb verwundert es nicht, dass das Kapitel Innovation und Digitalisierung zentrale Forderungen der Telekom-Lobbyorganisation „Internetoffensive Österreich“ enthält, deren Vize-Präsidentin Schramböck bis vor Kurzem war. Einige Formulierungen, z.B. bezüglich der Einrichtung einer interministeriellen Task-Force Digitalisierung und Bereichsziele zur Digitalisierung für alle Ministerien, oder auch einer Neuorganisation der Telekomregulierungsbehörde RTR, wurden direkt von der Lobbyorganisation ins Regierungsprogramm übernommen. Positiv wäre eine Umsetzung der Forderung, nachhaltig auf Glasfaser im Netzausbau zu setzen, wo Österreich heute Schlusslicht im EU-Vergleich ist. Deshalb wird epicenter.works die Rolle von A1 bei der kommenden milliardenschweren Frequenzversteigerung ebenso genau im Auge behalten wie den Wettbewerb zwischen den Telekombetreibern. Gerade weil die RTR im Jahr 2018 den Vorsitz im Gremium der europäischen Telekomregulierer BEREC führt, ist politische Einflussnahme gegen die Netzneutralität zu befürchten.
Eine Maßnahme, die im Widerspruch zur EU-Netzneutralitätsverordnung steht, kündigt die neue Regierung bereits an: Bei der Nutzung digitaler Medien wird eine „Opt-In-Regelung“ zum „Schutz von Kindern vor Pornographie und Gewalt“ ins Auge gefasst. Bei Netzsperren, die freiwillig durch Provider durchgeführt werden, handelt es sich um untersagtes Verkehrsmanagement und um eine Verletzung der geschützten Endnutzerrechte. Dies hat epicenter.works bereits in seiner Stellungnahme zu einem ganz ähnlichen Vorhaben im Rahmen des gescheiterten Überwachungspakets der letzten Regierung betont und auch die Telekom-Regulierungsbehörde RTR ließ an der Regelung kein gutes Haar.
Weniger Datenschutz, mehr E-Government und kein Transparenzgesetz
Auf oesterreich.gv.at soll ein zentrales Portal für alle Behördenwege eingerichtet werden, das help.gv.at
ersetzen soll. Über dieses Portal sollen auch zentralisierte
Datenschutzauskünfte aus diversen staatlichen Registern abrufbar sein,
wobei unklar bleibt, ob damit auch eine zentralisierte Speicherung
einhergeht. Die Datenschutzbehörde soll verstärkt Beratungs- und
Auskunftsfunktionen übernehmen und möglichst nur Verwarnungen
aussprechen, anstatt die – berechtigterweise – hohen Strafen der
EU-Datenschutzgrundverordnung auszuschöpfen. Das ist eine Unterwanderung
des europäischen Datenschutzgrundrechts und kommt nur Unternehmen
zugute, die sich nicht um den Schutz der Daten ihrer Nutzerinnen und
Nutzer kümmern wollen. Unklar bleibt ebenfalls, ob die
Datenschutzbehörde endlich die notwendigen Ressourcen und
Prüfkompetenzen für die Erfüllung ihrer Aufgaben bekommt, die sich mit
Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung Ende Mai 2018 stark
erweitern werden.
Einen großen Lobbyerfolg scheint die
Werbeindustrie erzielt zu haben. Dieser mächtige Wirtschaftszweig übt
aktuell in vielen EU-Staaten Druck auf Regierungen aus, um sein
Geschäftsmodell der kommerziellen Massenüberwachung in Verbindung mit
Online-Werbung trotz des starken EU-Datenschutzes weiter betreiben zu
können. So erklärt sich die Forderung nach einer
„E-Privacy-Ausnahmeregelung für Mediendienste von der europäischen
Datenschutzgrundverordnung“. Dazu müsste sich Österreich mit dieser
Forderung aber erst auf EU-Ebene durchsetzen oder offenen Bruch des
geltenden EU-Rechts begehen.
Einen ähnlichen Kniefall gegenüber
Presseverlegerinnen und -verlegern gibt es bezüglich des
Leistungsschutzrechts. Diese Verschärfung des Urheberrechts ist bereits
in Deutschland, Spanien und Belgien krachend gescheitert: Statt den
Verlagen zu nützen wurde dort die Position internationaler Monopolisten
weiter gestärkt, und somit das exakte Gegenteil des Gewünschten
erreicht. Dennoch wird das Leistungsschutzrecht gerade im Rahmen der
EU-Urheberrechtsrichtlinie wieder diskutiert. Die Positionierung der
schwarz-blauen Regierung stellt insofern eine Kehrtwende dar, als das
Justizministerium in einer Diskussionsveranstaltung am 13. September
2017 aufgrund der massiven Kritik von einem Leistungsschutzrecht noch
Abstand genommen hatte.
Im Kontext direkter Demokratie sollen
nicht bindende Anträge von Bürgerinnen und Bürgern „auch elektronisch
unterstützt werden können“. Genau das hat epicenter.works kürzlich in
einem Positionspapier zu E-Voting im Kontext direkter Demokratie gefordert.
Quelle: https://epicenter.works/content/analyse-des-schwarz-blauen-regierungsprogramms-2017-2022